Ricarda Thewes | Fachanwältin für Medizinrecht
Urteil des BGH vom 02.04.2019, Az.: VI ZR 13/18
Gibt es Schadensersatz für „erlittenes Leben“? Diese Frage verneinte der Bundesgerichtshof (BGH) am 02.04.2019 im Rahmen der Verhandlung über die Klage gegen einen Arzt, der einen Demenzkranken zu lange am Leben erhalten haben soll. Dabei ließ der VI. Zivilsenat deutliche Bedenken hinsichtlich dieses Begehrens erkennen. Der Sohn eines inzwischen verstorbenen Patienten machte dort posthum Schmerzensgeld und Schadenersatz geltend für die Leiden, die sein Vater unnötigerweise habe erleiden müssen, weil der Mediziner ihn nicht sterben ließ.
In dem Verfahren fordert der Sohn vom behandelnden Hausarzt seines Vaters insgesamt mehr als 150.000 Euro an Schmerzensgeld und Ersatz von Behandlungskosten. Sein Vater, schwer erkrankt und unfähig, noch seinen Willen zu äußern, war 2011 mit 82 Jahren gestorben. In den letzten Lebensjahren wurde er per Magensonde ernährt. Der Sohn ist der Ansicht, dass damit das Leiden seines Vaters unnötig in die Länge gezogen wurde. Wie lange der Vater selbst hätte behandelt werden wollen, weiß niemand, da dieser weder seinen Willen äußern konnte noch eine Patientenverfügung hatte.
Das Landgericht München wies die Klage des Sohnes vollumfänglich ab. Das Oberlandesgericht München hatte dem Sohn Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 € zugesprochen. Die Richter dort meinten, der Arzt habe seine Pflichten verletzt: Er hätte spätestens 2010, als eine Besserung des Zustandes seines Patienten völlig aussichtslos war, mit dem Betreuer und dem Sohn des Demenzkranken beraten müssen, ob eine Weiterbehandlung noch im Sinne des Patienten wäre. Da dies unterblieb, sei darin eine Pflichtverletzung des Arztes zu sehen, so die Richter des OLG München.
Unzulässige Bewertung menschlichen Lebens?
Der BGH aber sah darin eine unzulässige Bewertung menschlichen Lebens. So gab die Vorsitzende Vera von Pentz zu bedenken, ein Urteil über den Wert eines Lebens verbiete sich generell. Nur jeder Einzelne für sich könne entscheiden, wann er nicht mehr weiterleben wolle, z.B. im Wege einer Patientenverfügung. Dazu zog der Senat auch einen Vergleich mit dem sog. „Röteln-Fall“, in dem es darum ging, ob ein schwer behindertes Kind einen Schadensersatzanspruch für sein „erlittenes Leben“ haben könnte. Dies war damals vom BGH verneint worden, da kein Werturteil über das Leben eines Menschen gefällt werden dürfe (Urteil v. 18.01.1983, Az. VI ZR 114/81). Zudem wies die Vorsitzende darauf hin, dass der Sohn zu Lebzeiten des Vaters die Möglichkeit gehabt hätte, beim Betreuungsgericht eine Prüfung des Falls zu beantragen.
Die Entscheidung des BGH verdeutlicht nochmals eindrücklich die Wichtigkeit einer Patientenverfügung. Gerne beraten wir Sie hierzu individuell und umfassend und erstellen auf Grundlage Ihrer Wünsche eine eigens auf Ihren Bedürfnissen basierende Patientenverfügung.
Ricarda Thewes
Fachanwältin für Medizinrecht